Im März 2020 startet in der Akademie Heiligenfeld zum ersten Mal die interdisziplinäre Fortbildung „Heilraum Natur“ mit den Refereten Dr. Arnulf Hartl, Christian Dittrich-Opitz, Petra Mann, Max Straub und Ralf Franziskowski. In einem Interview geben uns Frau Mann und Herr Straub Einblicke in die Heilbehandlung, die die Natur als Medium der Therapie nutzt, und in die Vorteile, die Ärzte und Therapeuten aus dieser Weiterbildung gewinnen können.
Warum kann man die Natur als Heilraum bezeichnen und auf welche Art und Weise bietet sie eine Möglichkeit der Heilbehandlung von psychischen/psychosozialen Störungen bzw. Problemen?
Max Straub: Unser Körper hat sich wie jeder Organismus während eines sehr langen Prozesses mit seiner Umgebung auseinandergesetzt und sich entsprechend angepasst. Unsere körperliche, seelische und geistige Gesamtheit bildet ein sehr exaktes und feines System, das mit dem gesamten Leben verbunden ist und sich im permanenten Austausch mit seiner Umgebung befindet. Daher ist es klug, wenn wir nicht einen isolierten und durch seine Haut abgegrenzten Organismus behandeln, sondern einen Menschen, der sich in einem sehr komplexen Kontext befindet.
Mit unserer Lebensweise haben wir uns immer mehr von dem entfernt, was wir als eine gesundheitsförderliche Lebensform bezeichnen könnten. Durch die Verbindung zu unserer natürlichen Umgebung fällt es uns bei psychischen Herausforderungen bedeutend leichter, die Verbindung zu unserer inneren Natur wieder zu finden.
Petra Mann: Den Wald und die Natur als Heil – und Lebensraum zu erfahren, hat in unserem Kulturraum eine lange Tradition. Erst mit der Industrialisierung zu Beginn des letzten Jahrhunderts entfremdeten sich die Menschen nach und nach aus dem Umfeld der Natur. Naturtherapie ist heute ein Teil des therapeutischen Erlebensraums, in dem Wachstum, Auseinandersetzung mit der persönlichen inneren Natur und einer Auseinandersetzung mit fremden, beängstigenden Teilen ihren Raum finden.
Sich in therapeutischer Begleitung in Gruppen- oder Einzeltherapie den Herausforderungen in der Natur zu stellen und dabei in der heilsamen Atmosphäre des Waldes zu verweilen, birgt zwei wichtige Erfahrungen, die Heilung ermöglichen: Den Aspekt des in Beziehung Seins und der direkten Bezogenheit mit der Natur und ihren kraftspendenden Qualitäten.
Wie wirkt sich die Natur und dessen Wandel auf die Erde und uns Menschen aus?
Max Straub: Alles (Erde, Natur, Klima) hängt zusammen, befindet sich im Wandel und beeinflusst sich gegenseitig. Ein Beispiel: wenn wir einen Fluss begradigen, fließt das Wasser schneller und es kann dadurch naturgemäß flußabwärts zu Überschwemmungen mit den entsprechenden Einflüssen auf Mensch und Natur kommen.
Wie wirkt sich der Aufenthalt im Wald und der Natur auf den Menschen und seine Ängste aus?
Petra Mann: Die Wirkung des Aufenthalts im Wald wird seit Beginn dieses Jahrhunderts wissenschaftlich untersucht und ist in vielen Veröffentlichungen dargestellt. Viele Studien bestätigen, dass sich der Aufenthalt im Wald positiv auf unser Wohlbefinden auswirkt. Herz- und Vitalfunktionen werden gestärkt, der Blutdruck reguliert sich und die Atemwege werden entlastet. Außerdem wird das Nervensystem stabilisiert, das wirkt wiederum entspannend und schlaffördernd. Darüber hinaus lindern sich depressive und ängstliche Symptome.
Auf der anderen Seite stärkt das Waldbaden die körpereigene Abwehr durch die bioaktiven Substanzen, die von den Bäumen abgegeben werden und die wir über die Atemluft aufnehmen. Pflanzliche Terpene schützen vor freien Radikalen (Zellstress) und stärken das Immunsystem. Zudem schirmt der Wald den Lärm der Stadt ab. Schon nach 100 m im Wald ist 50% weniger Stadtlärm hörbar. Das Gehör kann sich entspannen und die Konzentration steigert sich. Des Weiteren wirken die Farben des Waldes Grün und Braun beruhigend und fördern die Heilungsprozesse. Sicherheit, Wärme und Behaglichkeit wird vermittelt. Die Gelenke und die Rückenmuskulatur werden durch den federnden Waldboden geschont und entspannen sich. So steigert sich die Lebensfreude und Neugier und Ehrfurcht gegenüber dem Leben wird bestärkt.
Welche Vorteile bietet die Weiterbildung den Ärzten und Therapeuten, die zuvor noch keine Berührungspunkte mit der „Naturtherapie“ hatten und welche Erkenntnisse könne sie daraus mitnehmen?
Max Straub: Jeder weiß, dass wir Menschen im Kontakt mit der Natur leichter zur Entspannung kommen können. Dies ist eine wesentliche Basis für Heilung. Krankheitssymptome haben oft damit etwas zu tun, dass wir aus der natürlichen Ordnung herausgefallen sind. Bei einer Rückkehr zu der inneren Ordnung kann die Natur eine sehr effektive Lehrmeisterin für Ärzte, Therapeuten und Patienten sein.
Auch wenn wir inzwischen einen enormen Einfluss auf unsere Lebensbedingungen und Gesundheit nehmen können, ist es klug, wenn wir als Wesen mit einem menschlichen Körper die Gesetze in der Natur wahrnehmen, studieren und achten.
Petra Mann: Naturtherapie bietet einen gesunden Arbeitsplatz und ermöglicht sowohl den Klienten als auch den Therapeuten sich in und mit der Natur auseinanderzusetzen, zu wachsen, sich selbst zu erfahren, Lebensfreude neu zu entdecken und sich wieder mit der inneren und äußeren Natur zu verbinden. Es braucht etwas Mut und eine grundsätzliche Bereitschaft den bequemen Therapeutensessel zu verlassen und sich den natürlichen Einflüssen und Herausforderungen zu stellen.
Wir werden in der Ausbildungsgruppe gemeinsame Erfahrungen, Übungen, Anregungen und therapeutische Prozesse in der Natur erleben, die direkt in der alltäglichen Praxis eingesetzt werden können. Es wird die Möglichkeit geben, sich mit ganz persönlichen Themen, wie z.B. Auseinandersetzung mit den Befürchtungen, Freuden und inneren Widerständen zu widmen. Umfassende theoretische Informationen zur Naturtherapie und ihren aktuellen Forschungsergebnissen werden vermittelt. Ein neuer „ Arbeitsraum“ kann sich entfalten und das Leben jedes Teilnehmers bereichern.
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